Bereit

Bereit

Es ist so weit: Sie ist so weit.

Zumindest war sie das kürzlich, als wir sie auf unserer StraSo-Runde trafen. Sie war so weit, den Ernst ihrer Alkohol- und Drogensucht zu erkennen, ihre Probleme offen auszusprechen – und um Hilfe zu bitten. Für eine neue Perspektive im neuen Jahr. Die junge Frau aus Rumänien, die seit längerer Zeit immer mal wieder mit verschiedenen Anliegen zur RELING kommt. „Bitte“, sagte sie verzweifelt, „bitte eine Therapie. Muss!“

Ja, das muss sie. Das müsste sie. Eine Therapie machen, einen qualifizierten Entzug. Und wir alle, die Gesellschaft, der Staat, wir müssten sie dabei unterstützen, oder? Sie, genauso wie jeden, der den Kreislauf von Armut, Ausgrenzung, Alkohol durchbrechen will. Der für seine Gesundheit kämpfen will, und vielleicht, ganz vermessen, auch für ein kleines Stück vom Glück.

Aber ohne Krankenversicherung? Ohne Anspruch auf Sozialleistungen? Sorry, keine Chance! Wie bitter. Wie bitter für alle Betroffenen. Für die vielen osteuropäischen Obdachlosen in Hamburg, die durch solche Gesetzesvorgaben auf der Strecke bleiben – beziehungsweise auf der Straße.

Und wie bitter auch für alle, die helfen wollen. Die stattdessen Nachrichten überbringen dürfen wie: „Toll, dass du so weit bist. Unser Staat ist es allerdings nicht. Obwohl er sich Sozialstaat nennt.“ Die höchstens noch Flyer mit Infos zu Suchtberatungsstellen oder Selbsthilfegruppen verteilen können. Und zusehen müssen, wie es zurück in den Kreislauf geht. Das macht traurig. Und wütend.

Denn verstehen können wir es nicht. Dass suchtkranke Menschen, die in unserem Land, in unserer „Wir-sind-die-offene-Tor-zur-Welt-Stadt“ leben, nicht grundsätzlich das Recht auf eine professionelle, psychologisch-betreute Entgiftung und Rehabilitation haben.

Genauso wenig verstehen wir, warum Housing First bei uns weiterhin nur ein Modellprojekt ist, dazu noch geknüpft an mehrere Bedingungen wie Leistungsberechtigung. Vielmehr sollte Housing Forst bei uns selbstverständlich sein und seiner Grundidee gerecht werden: Dass obdachlosen Menschen bedingungslos – und mit bedarfsgerechter Unterstützung – eine Wohnung erhalten. Damit sie von diesem geschützten Raum aus langsam wieder Fuß fassen, körperlich und psychisch gesunden, Teilhabe erfahren und nach Arbeit suchen können – und so letztlich unabhängig von finanziellen Leistungen werden.

Alles viel zu teuer? Wer soll das bezahlen? Gegenfragen: Was kostet es denn, immer wieder einen Krankenwagen für stark alkoholisierte Menschen zu rufen? Was kostet es, immer wieder Krankenhausaufenthalte von geschwächten, verletzten Obdachlosen zu finanzieren? Was kostet es, Notunterkünfte und das Winternotprogramm bereit zu stellen und mit immer mehr Security-Personal auszustatten? Was kostet es, immer wieder Gefängnisaufenthalte von Obdachlosen zu bezahlen, die ihre Geldstrafen fürs Schwarzfahren nicht bezahlen können?

Kurz: Was kostet es uns, den Kreislauf von Armut, Ausgrenzung und Alkohol immer weiter aufrechtzuerhalten? Und was würde es uns demgegenüber kosten, menschlich zu sein?

Denn: Es geht hier nicht um irgendwelche Zahlen. Es geht um Menschen. Egal, aus welchem Land. Egal, mit welchen rechtlich gültigen Ansprüchen. Den Anspruch auf ein menschenwürdiges Dasein sollte, nein muss, jeder Mensch haben. Genauso wie auf sinnvolle, nachhaltige Hilfskonzepte. Die sich am Ende selbst überflüssig machen. Weil sie erfolgreich waren. Weil sie den Kreislauf durchbrochen haben.

Wir wären so weit. Wer noch?

Maren Albertsen

Symbolbild/Quelle: https://www.neo1.ch/artikel/hunderte-zerbrochene-glasflaschen-auf-der-strasse

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