Von Menschen und (Un)Menschlichkeit
Es war dieser eine Satz. Unser Gast sagte ihn am Ende unseres kleinen Klönschnacks vorm Gebäude der RELING. Er sagte ihn zweifelnd, tief verunsichert: „Ich bin doch ein Mensch, oder?“ Ein Satz, der bei uns, der RELING-Crew, hängenblieb. „Ja“, erwiderten wir sofort. Klar und deutlich. Aber so klar ist es eben offensichtlich nicht. Nicht für jeden. Denn nicht jeder hat sie verinnerlicht – diese simple, dafür umso wichtigere Wahrheit, die unser Leben erst zu einem Zusammenleben macht: Wir sind alle Menschen. Jeder einzelne von uns ist ein Mensch. Wir alle werden geboren mit der gleichen Würde. Einer unantastbaren Würde. Und doch erfahren unsere Besucher*innen immer wieder, wie ihre Würde angetastet wird, wie sie würdelos behandelt werden.
„Geh doch arbeiten“ – das sei noch die harmloseste Bemerkung von Passanten, wenn er sie höflich um ein paar Cent bitte, so unser Gast. „Ich sage dann immer: Gerne. Sofort. Haben Sie denn Arbeit für mich?“
„Du bist selbst Schuld an deiner Situation“, „Du bist halt faul, ein Schmarotzer“, „Wer auf der Straße lebt, will das so“, „Wer Drogen nimmt, hat sich einfach nicht im Griff“ – solchen Vorurteilen begegnen unsere Gäste leider immer wieder.
Wir beraten und begleiten in der RELING Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen Schwierigkeiten haben, ihr Leben in ihrem Sinne zufriedenstellend zu bewältigen. Es sind Obdachlose dabei, Suchtkranke, Arbeitslose, psychisch Kranke. Menschen, die nur einmalig Unterstützung benötigen genauso wie Stamm-Besucher, die zwischendurch mal auf einen Kaffee und ein kurzes Gespräch vorbeischauen. Sie alle wollen (und sollen) wahrgenommen, gesehen und gehört werden. Auf Augenhöhe.
Denn: Unsere Gäste sind alle Menschen. Sie alle sind reich an Erfahrungen und Erlebnissen, reich an Fähigkeiten und Potenzialen. Sie bringen ihre Geschichten mit, lassen uns teilhaben – und wünschen sich umgekehrt meist auch vor allem das: Teilhabe. Etwas, das ihnen verwehrt wird, wenn sie von anderen beleidigt, stigmatisiert und respektlos behandelt werden.
Dabei erwarten unsere Besucher*innen von ihren Mitmenschen meist gar nicht viel. „Nur ein bisschen Mitmenschlichkeit“, so unser Gast. Das muss nicht mal ein freundliches „Hallo, wie geht es dir?“ sein. „Mir reicht es schon, wenn jemand mir mal zunickt, mich anlächelt.“ Ein kleines, aber wertvolles Zeichen der Wertschätzung. Das Schlimmste, so unser Gast, sei deshalb für ihn, „wenn Passanten mich komplett ignorieren, wenn sie absichtlich wegschauen, mich ausgrenzen. Wenn sie so tun, als gäbe es mich nicht.“
Das seien die Momente, in denen diese Frage auftauche. Die Frage nach Zugehörigkeit in dieser Stadt, in dieser Welt. Die Frage, ob man ein Mensch sei. Und wenn man darauf kein klares Ja hört? Was macht das mit einem? „Das ist ein Schmerz – den kriegt man aus dem Herzen nicht mehr raus.“
Maren Albertsen