Loslassen

Loslassen

Schön war das nicht. Da gibt es nichts zu beschönigen. Zwischendurch Gefühle von Erschöpfung und Frustration. Schwer, sowas loszulassen. So einen Tag.

Dabei gab es keinen dramatischen Vorfall in der RELING. Es passierte auch nichts Großes während unserer „StraSo“-Runde. Aber viel Kleines, das sich irgendwann summierte. Und im Ergebnis doch groß wurde.

Vielleicht lag es daran, dass an diesem Tag ungeheurer Andrang herrschte: Fast 60 Gäste kamen zwischen 10 und 15 Uhr zur RELING. Alle mit ihren Geschichten, Sorgen, Fragen. Und ja, auch Ansprüchen. Die manchmal – vorsichtig formuliert – etwas überzogen waren. Hilfe zur Selbsthilfe – das wollen wir fördern. „Ich gehe diesen Weg mit dir“, heißt deshalb unser Motto, „aber ich gehe ihn nicht für dich.“

Doch nicht jeder Besucher ging an diesem Tag mit. „Ruft mal schnell beim Jobcenter für mich an und klärt das“, hieß es stattdessen im Befehlston. Oder: „Ich brauche jetzt sofort eine Wohnung von euch.“ Oder: „Hier, das sind alles Schreiben zu meinen Schulden. Ihr macht die weg, ja?“

Geduldig erklärten wir mehrfach, was unser Hilfsangebot ausmacht und umfasst. Dass Probleme, die im Laufe von 20 Jahren angesammelt wurden, nicht mit einem Fingerschnipp beseitigt werden können. Dass es politische und gesetzliche Vorgaben gibt. Dass wir demnach auch „nur“ das Mögliche im Gegebenen leisten können. Und dass die Hauptakteure unsere Gäste selbst sind: Ohne ihre aktive Mitarbeit wird es keine nachhaltige Veränderung geben, keine Verbesserung.

Doch nicht jeder Besucher konnte (wollte?) das an diesem Tag akzeptieren. „Wozu seid ihr dann da?“, hieß es stattdessen wütend. Oder: „Das ist keine Hilfe. Das ist Sch****!“ Keine schönen Momente für uns. Auch wenn wir wissen, dass diese Worte meist aus purer Not ausgesprochen wurden, aus Verzweiflung.

Genau wie ein paar Worte mehr, die wir anschließend während unserer Straßensozialarbeit rund um den Hauptbahnhof hörten. Auch dort glaubten anscheinend mehrere Personen, die wir ansprachen, dass gerade „Tag des Loslassens“ war – und sie deshalb ihren Frust und ihren Ängsten am besten uns gegenüber auslassen sollten…

So schimpfte ein Gast, dass wir ihm nicht ad hoc einen Therapieplatz vermitteln konnten. Und eine Stamm-Besucherin, die sonst immer freundlich grüßte, bemerkte uns gar nicht – sie war zu sehr damit beschäftigt, übers Handy ihren Sohn anzubrüllen, weil der nicht vorbeikommen wollte, um ihre Geld für Drogen zu bringen… „Dann will ich nichts mehr mit dir zu tun haben“, schrie sie aufgebracht. „Du bist nicht mehr mein Sohn!“

Schlimme Worte. Da muss man sich dann festhalten. An den anderen Worten. Die einen auch berühren, aber im positiven Sinn. Wie die von dem älteren Mann, der bei einem Päckchen Capri-Sonne, das er von uns bekam, sofort ins Schwärmen geriet. Der Geschmack erinnere ihn an seine Kindheit an der See: „Da habe ich immer Capri-Sonne getrunken und den Schiffen hinterhergeschaut. Der Geschmack bedeutete Aufbruch – und Freiheit.“

Ganz frei und vertrauensvoll berichteten uns zwei andere Gäste von schlimmen Erkrankungen, die sie durchgestanden haben und wie sie daran gewachsen sind: „Mein Motto ist: Egal, wie stark da draußen etwas ist, das mich fertig machen will – ich bin stärker.“

Eine starke Einstellung, die wir gerne in unsere Herzen übernehmen. Genau wie die Worte einer Besucherin, die uns während StraSo-Runde beschimpft hatte – später aber extra nochmal vorbeikam und erklärte: „Das war eben nicht okay. Ich habe einen Fehler gemacht und bitte um Entschuldigung.“ 

Wow. Wenn das kein versöhnliches Ende ist. Und den Rest? Let it go – den lassen wir jetzt los.

Maren Albertsen

Symbolbild/Quelle: harte-strafen-drohen-dav-artikel-min.jpg (750×423) (anwaltauskunft.de)

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