Im Einklang

Im Einklang

Schritt halten. Oft gar nicht so leicht. Wir kommen ja alle als Neulinge in diese Welt – und müssen uns erstmal ans Tempo gewöhnen, das uns umgibt. Doch dafür bleibt selten Zeit. Stattdessen heißt es: Zack zack, lauf mit, optimier dich, bleib flexibel, fit, angepasst – gerade zum Jahresanfang, wenn überall von guten Vorsätzen die Rede ist.

Aber wenn man das nicht packt? Wenn man mal nicht Schritt halten kann? Dann verliert man ganz schnell den Anschluss. Vor allem kommt man auch ganz schnell ins Stolpern. Da reicht schon ein Stein, der einem in den Weg gelegt wird, ein Hindernis, ein Verlust, eine Krise. Und wenn da dann keiner ist? Kein soziales Netz, das einen auffängt, kein Mensch, der einen hält, der einem wieder aufhilft – puh, wie kommt man dann wieder hoch?

Wieviel Kraft wohl dazu gehört, wieviel Mut? Wir können es nur erahnen. Umso bereichernder für uns in der RELING, wenn wir dieses Aufrappeln ein Stück weit begleiten dürfen. Mal anstupsend, mal stützend – und manchmal auch einfach als „Da-Seiende“. Damit Gäste, die aus dem Tritt gekommen sind, wieder Fuß fassen. Und ihren Rhythmus (wieder) finden.

So wie einer unser Besucher aus Polen. Überschwänglich vor Freude grüßte er uns kurz vor Jahresende bei der Straßensozialarbeit. Ja, er habe die Nummer, die wir ihm von der Beratungsstelle „Plata“ gegeben haben, neulich selbstständig angerufen (und sich so über Hilfsmöglichkeiten für Bürger*innen aus Osteuropa informiert). Diesen Vormittag habe er übrigens bei einer Baufirma zur Probe gearbeitet, was sehr gut lief, also… „Läuft, oder? Das neue Jahr kann kommen!“

Oh ja, das sieht so aus. Das sieht gut aus, dabei sah es eigentlich gar nicht gut aus: Aus der Bahn geworfen, wohnungslos, arbeitslos. Aber er kämpft sich zurück. Angetrieben vom Willen zur Veränderung, Verbesserung. Und uns? Uns braucht er auf seinem Weg nun fast gar nicht (mehr). Was für ein schönes Geschenk!

Eine Aufgabe, eine feste Struktur, ein Gefühl der Zugehörigkeit – wie sehr das helfen kann, nicht vom Kurs abzukommen. Wie sehr wir das auch unseren anderen Besucher*innen wünschen. Von denen viele besonders zur Weihnachtszeit strauchelten. Von denen manche ewig brauchen, um weiterzukommen. Von denen einige falsch abbiegen – aber von denen hoffentlich keiner aufgibt.

Und vielleicht ist das ja der Rhythmus, in dem es funktioniert – gerade jetzt, als Neustart zum  Jahresanfang: Kleine Ziele setzen. Schritt halten. Und dann, wahrscheinlich: hinfallen. Trauern, ärgern, akzeptieren. Aufstehen, weitergehen. Wieder hinfallen. Wieder aufstehen. Jeder in seinem eigenen Tempo, mit sich selbst im Einklang. Denn schneller heißt nicht besser, nicht glücklicher. Sondern einfach nur schneller.

Maren Albertsen

Symbolbild / Quelle: homeless_man_new_york_rtr_img-1024×645-1.jpg (1024×645) (newyorkaktuell.nyc)

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