Abgrenzen, nie ausgrenzen

Abgrenzen, nie ausgrenzen

 „Es ist so schwer“, sagte er. Schulternzuckend, als wollte er den Satz damit abtun. Aber dann schaute der junge Mann uns an, suchte unseren Blick und seine Augen zeigten nur eins: Traurigkeit. Ein kurzer Moment, in dem seine Fassade bröckelte und er uns eine einfache Wahrheit gestand: „Es ist so schwer.“

Okay, genau so hat er es nicht gesagt, bei ihm hieß es „f*cking hard“, und das ist es ja auch: Verdammt schwer, vom Alkohol loszukommen. Auf der Straße, ohne sozialen Halt, wenn nur der Wodka dich hält – bis er dich eben nicht mehr hält, sondern dir den Boden unter den Füßen wegzieht. Wortwörtlich. So dass du mit dem Gesicht drauf landest.

Platzwunden, von der Stirn bis zum Kinn, dick mit Schorf überzogen. So besuchte er uns neulich in der RELING. Was passiert sei, wollten wir wissen. Und ahnten es schon: Getrunken, viel zu viel getrunken, epileptischen Anfall gehabt, gestürzt.

„Ich weiß, ich muss damit aufhören“, sagte er. „Ich weiß das. Aber ich schaffe das nicht. Weil da sonst nichts ist.“ Keine Aufgabe, keine Perspektive, kein Zuhause. Was leider für viele unserer Besucher gilt. Und was ihnen gerade zur Weihnachtszeit besonders zu schaffen macht.

Umso dankbarer sind wir für jeden der an (bzw. in) der RELING Halt sucht, der uns vertraut, sich uns anvertraut. Deshalb freuen wir uns auch immer, wenn genügend Zeit für Gespräche bleibt. Beziehungsweise Zeit fürs Zuhören, aufs Eingehen, aufs Verstehen. Zeit für Empathie – manchmal ist das ja der wichtigste Part.

Dann, wenn ein Besucher verzweifelt berichtet, dass ihm sein Hund weggelaufen sei: „Ich hab den erst vor ein paar Tagen bekommen und hab noch keine Papiere – den kriege ich doch nie wieder!“ Dann, wenn vom Überlebenskampf auf der Straße berichtet wird, vom Beklautwerden, von Schlägereien, vom Alleinsein – also dem Alltag. Dann, wenn man buchstäblich zusehen kann, wie eine Person zugrunde geht, immer weniger wird. Die aber, und das ist dann auch für uns so „f*cking hard“, (noch) keine Hilfe akzeptieren und annehmen will. Oder nicht kann, vielleicht beides.

Verdammt schwer ist das. Erst recht, wenn da jemand ist, zu dem man eine Beziehung aufgebaut hat.  Denn es ist in der Sozialen Arbeit ja immer so ein Balance-Akt: Nähe zulassen, ohne zu nah zu werden. Abgrenzen, ohne auszugrenzen. Einfühlen, ohne sich eins zu fühlen.  

Eine tägliche Herausforderung für uns in der RELING. Wie in der Begegnung mit einer älteren Obdachlosen, von der wir wissen, dass ihre Lebenssituation sie „kaputt“ macht, psychisch und physisch. Die das auch selbst weiß, und die trotzdem bislang nicht über den ersten Schritt hinauskommt: den zu uns. Beim letzten Besuch setzte sie sich aufrecht hin, machte sich groß, immerhin. „Alles okay, Baby!“, schmetterte sie uns entgegen, kraftvoll. Aber ihr Blick sagte etwas ganz anderes.

Es ist so schwer. Auch, sich immer wieder was vorzumachen. Bröckelnde Fassade. Noch hält sie. Und wenn sie bricht? Wir werden da sein. Dafür sind wir da.

Maren Albertsen

Symbolbild / Quelle: supervision_crop_1000px.jpg (1000×667) (birgittrepke.de)

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