Advent, Advent…
Ein Blick ins Licht. Leider kein Lichtblick.
Nun brennt sie also – die erste Kerze auf dem Adventskranz. Eigentlich ein Zeichen der Vorfreude, der Hoffnung. Aber für uns in der RELING ist sie auch Mahnung, Erinnerung, ein flammendes „Jeder Einzelne ist einer zu viel!“
Mindestens 29 Obdachlose sind in diesem Jahr auf Hamburgs Straßen gestorben, wie „Hinz&Kunzt“ Mitte November berichtete. Weitere 17 Obdachlose starben im selben Zeitraum in Hamburgs Krankenhäusern. Nicht zu vergessen die vielen, viel zu vielen Wohnungslosen der Stadt, die dieses Jahr verstorben sind. Zählt man sie hinzu, steht da plötzlich eine erschreckende Zahl im Raum: 125.
125 tote Obdach- und Wohnungslose. Allein in diesem Jahr. In Hamburg.
Unfassbar!
Eine unfassbare Zahl. Aber eben keine Zahl. Es geht hier um Menschen. Menschen, oft allein gelassen im Leben – und auch allein gelassen im Sterben.
Vor ein paar Tagen hat die Ampel-Koalition verkündet, dass sie die Obdachlosigkeit in Deutschland bis 2030 mit einem „Nationalen Aktionsplan“ überwinden will. Jetzt müssen Worten endlich Taten folgen. Taten, auf die 125 Menschen in Hamburg dieses Jahr vergeblich gewartet haben. Für sie wurde am Totensonntag ein bewegender Gedenkgottesdienst in der St. Bonifatius-Kirche in Hamburg veranstaltet.
Die Namen der Verstorbenen wurden vorgelesen, es wurden Kerzen angezündet. Blicke ins Licht, in der Hoffnung auf kleine Lichtblicke. Gemeinsam Zeichen setzen im Sinne von „Ihr seid nicht vergessen“, Zeichen setzen im Sinne von „Ihr wart und seid wertvoll.“
So wertvoll, wie für uns auch die Menschen sind, die uns in der RELING besuchen und denen wir während unserer Straßensozialarbeit begegnen. Alle. Jeder einzelne von ihnen. Der Gast, der sich bei uns ab und zu „den nötigen Stups“ abholt, um sein Leben dann wieder einige Zeit selbständig „auf die Kette zu kriegen“, genauso wie der Besucher, der immer wieder denselben „Endlos-Monolog“ abspult – und gar keine Beratung möchte, sondern sich einfach „nur“ gesehen, gehört und verstanden fühlen will.
Der ältere Obdachlose, der uns jedes Mal freudestrahlend und mit „ner mega-krassen Story“ begrüßt, wenn wir ihn in der City antreffen, genauso wie die neue Klientin, alkoholkrank, die nach „Jahren des Selbstbelügens“ zum ersten Mal genügend Mut aufbrachte, den entscheidenden Satz zu sagen: „Ich brauche Hilfe.“
Sie alle sind wunderbar, wandelbar. Einzigartig, eigensinnig.
Umso wichtiger, dass wir alle dafür einen Sinn beziehungsweise das im Sinn haben. Umso wichtiger, nicht zu vergessen. Sondern sich zu erinnern, dass da draußen Menschen sind, auf der Straße. Die Unterstützung brauchen. Die dort leben. Die leider nicht immer überleben. Lassen wir für sie die Kerze brennen – nicht nur in der Adventszeit.
Ein Blick ins Licht. Ein kleiner Lichtblick.
Autorin: Maren Albertsen