Der schönste Lärm
Kurz: Es war der Brüller! Tatsächlich mussten wir uns neulich in der RELING das ein und andere Mal anschreien. Das meinten wir aber nicht böse. Und unsere Gäste auch nicht. Ohne stimmenmäßig ein paar Dezibel draufzulegen ging es einfach nicht – denn an der Baustelle direkt neben unserem Büro wurde fleißig gebaggert, gebohrt und pressluftgehämmert. Da liefen die Begrüßungs-Dialoge an der Tür in etwa so ab: „Hallo, schön, dass du da bist. Hast du Durst?“ „Ah, toll, heute gibt’s bei euch Wurst?“
Und dann: gemeinsames, befreites Lachen. So wertvoll! Das weiß auch eine ältere Stamm-Besucherin, die uns mit ihrer herrlichen Selbstironie immer wieder bezaubert. Was denn passiert sei, fragten wir einmal besorgt, als sie mit verbundenem Zeigefinger zu uns kam. „Na was wohl?“, lautete ihr trockener Kommentar, „ich habe zu tief in der Nase gebohrt!“
Ein anderes Mal rief sie schon von Weitem fröhlich „Hallooo meine Kinder“, als sie sich durch Pfützen und Schlaglöcher mit ihrem Rollator zu uns kämpfte. „Ich habe sooolche Rückenschmerzen, wisst ihr woher?“ Wussten wir natürlich nicht. „Ist doch klar“, meinte sie verschmitzt, „ich habe zu viel getanzt!“
Aber zu viel – geht das überhaupt? Tanzen wir doch einfach mal weiter. Durch Pfützen und Hindernisse, Schwierigkeiten und Sorgen. Wir in der RELING sind jedenfalls dankbar dafür, dass wir mit unseren Besuchern manchmal „nur“ wunderbar miteinander lachen können.
So wie mit dem Gast, der auf die Frage, ob er einen Bonbon haben wolle, antwortete: „Nee lass mal, ich kann nicht gut beißen.“ „Du sollst auch nicht beißen, du sollst lutschen!“ „Ah okay, lutschen kann ich.“ Danke für das Kopfkino! Ähm, und irgendwie passend, dass kurz darauf ein Besucher mit offenem Hosenstall an die Tür trat… Grinsend wurde er von uns vor die Wahl gestellt: „Entweder du machst deine zu – oder wir lassen hier gleich alle die Hosen runter.“ Spoiler: Er traf die richtige Entscheidung.
Bewahren wir uns doch diese Leichtigkeit. Schauen wir uns das von unseren Gästen ab. Von Menschen, denen wir größten Respekt dafür zollen, dass und wie sie trotz widriger Umstände ihr Leben bewältigen, sich nicht unterkriegen lassen. Wie sie sich ihren Witz und ihre Schlagfertigkeit bewahren, dieses „Trotzdem-Lächeln“. Selbst bei 6 Grad und strömendem Regen. So saß er da, ein junger Mann im Rollstuhl, den wir während unserer Straßensozialarbeit regelmäßig treffen. Nur leichtbekleidet, komplett durchnässt. Saß da klaglos, währen Passanten um ihn herum fluchend ihre Schirme aufspannten. Und lächelte.
Lächelte uns an, lächelte Richtung Himmel und rief: „Ey Petrus, kannst den Wasserhahn wieder zudrehen. Reicht jetzt.“ Stattdessen drehte Petrus nochmal richtig auf. Und der junge Mann? Lachte nur umso lauter. „Da orientiere ich mich an Karl Valentin“, erklärte er später. Der sagte mal: „Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch.“
Wie wahr. Wie klug. Also ruhig nochmal ordentlich aufdrehen: Lachen ist der schönste Lärm!
Maren Albertsen