Hand aufs Herz
So machte es neulich einer unserer Stamm-Gäste. Als wir zur RELING kamen, hockte er zusammengesunken neben der Tür, Tränen in den Augen. Und immer wieder: Hand aufs Herz. Als könnte er seinen Schmerz damit greifbar machen.
Ein trauriger Moment. Einer, der Nähe brauchte. Wir knieten uns zu ihm. Holten ihm einen Stuhl, damit er sich setzen, sich anlehnen, Halt finden konnte. Kraftlos ließ er sich nieder. Und sagte weinend: „Mein Herz ist kaputt. Meine große Liebe ist tot.“
Unser Stamm-Gast hat seine Frau verloren. Viel zu früh ist sie für immer gegangen. Das Leben auf der Straße hat ihr den Tod gebracht. Da gibt es nichts zu sagen, denn da fehlen die Worte. Vor allem, da wir kein Rumänisch sprechen und unser Gast kaum Deutsch. Aber wir konnten ihm Zeit und Raum für seinen Schmerz geben, die Trauer teilen.
Ja, wir sind traurig. Aber auch dankbar. Dass unser Gast sich nicht zurückgezogen hat. Dass er zu uns gekommen ist. Dass die RELING weiterhin sein Vertrauens-Ort ist. Sein „Halte-Ort“: zum Anhalten, Aushalten, Festhalten. Dass wir ihm Beistand leisten durften.
So etwas bewegt einen. Aber es gibt natürlich noch mehr Bewegung in der RELING, gerade jetzt im Sommer, wo es nach Ende des Winternotprogramms kaum Übernachtungsmöglichkeiten für Obdachlose gibt. Aber wozu auch??? Draußen ist es heiß und die Rosen blühen… Alles fein, keine Notwendigkeit zu Handeln. Zumindest nicht von Seiten der Stadt. Sommernot? Was soll das denn sein? Kennt keiner.
Nur die vielen, viel zu vielen Betroffenen. Die nicht gesehen werden. Die nicht gehört werden.
Viele von ihnen kommen gerade zu uns. Viele neue Besucher, fast alle verunsichert, verzweifelt, weil sie keine Chance auf eine Bleibe haben. So antwortete ein junger Mann auf die Frage, ob er etwas möchte (womit wir Kaffee oder Wasser meinten): „Bitte, ich möchte ein Zimmer.“
Ein Zimmer, das mehr ist als Schutz vor Kälte. Das auch vor Hitze schützt. Vor Gewalt, Lärm, Haltlosigkeit. Ein Raum, der aber vor allem die Seele schützt. Wo der Mensch ganz Mensch sein kann. Jeder Mensch.
Wenn das nur so einfach wäre! Was es ja im Prinzip wäre. Wäre der (sozial-)politische Wille der Stadt Hamburg da. Aber genug davon an dieser Stelle, dafür fehlt gerade die Kraft…
Kraft. Ja, zumindest ein bisschen Kraft spenden konnten und können wir hoffentlich in der RELING. Mit Worten, mit Taten, mit Dasein und Zuhören.
So wie bei unserem trauernden Gast. Zwischendurch war er so verzweifelt, dass er sich mit der Hand über die Kehle fuhr. Eine deutliche Geste. Die wir mit anderen Gesten zum Glück vergessen machen konnten. Gesten des Zuspruchs, der Empathie, der Gewissheit: Du bist nicht allein. Wir sind für dich da. Gerade jetzt.
Eine Begegnung, die uns noch lange beschäftigen wird. An die wir auch auf dem Heimweg dachten, während es nach Sonnenstich-wetter auf einmal erbarmungslos anfing zu schütten. Irgendwie passend: Auch der Himmel weinte jetzt mit unserem Gast.
Maren Albertsen